Dänische Komödie „Jeppe vom Berge“ im Heckentheater

Jedes Jahr im Sommer erwacht das Heckentheater im Park Sanssouci zu neuem Leben und beschert dem Publikum zauberhafte Theatermomente. Am 28. Juli 2023 schien das Regenwetter das Erlebnis zu trüben. Doch pünktlich zum Vorgespräch klarte sich der Himmel auf und die Schauspieler Willi Händler und Sibylla Rassmusen begrüßten unsere Gruppe, während auf der Bühne die letzten Regenpfützen weggefegt wurden.

Ludvig Holberg – der „dänische Molier“

Die Komödie „Jeppe vom Berge oder eine Nacht im Paradies“ des dänisch-norwegischen Dichters Ludvig Holberg wurde 1722 in Kopenhagen uraufgeführt und gehört bis heute zu den Lieblingsstücken des dänischen Publikums, während es in Deutschland weitestgehend unbekannt blieb. Holbergs Komödien handeln von Menschen, die die Vernunft ablehnen und sich von einer skurrilen Passion oder Schwäche leiten lassen. Die Komik wird durch Intrigen oder eine Narretei erzeugt, die gegen die Hauptperson ins Werk gesetzt wird, um sie von ihren Schwächen zu kurieren. Holbergs Komödien haben ihre Wurzeln in der Commedia dell’arte, die er bei seinem Italienaufenthalt kennengelernt hatte. Im Aufbau folgte er Molière, erläuterte Willi Händler im Vorgespräch.

Dänischer Humor sehr speziell

Im 18. Jahrhundert waren 80 Prozent der Dänen Sklaven, die von den Herrschenden ausgebeutet wurden, erklärte Sibylla Rasmussen, eine dänisch-deutsche Schauspielerin, die im Stück als Nille – die Frau von Jeppe – auftritt, den Zuhörern. Die Bauern waren damals „dumm und faul“  und stark dem Alkohol verfallen, so ihr Kommentar. Überrascht war die Dänin, als sie das Stück im Deutschen las. „Im Dänischen erzeugt die Sprache eine humoristische Vielfalt, die im Deutschen verblast und hart klingt“, sagte die Schauspielerin.

Amüsanter Schwank mit aktuellen Bezügen

Die Vermutung, Holberg habe mit dem kraftvollen Stück zeigen wollen, was passiert, wenn ein Unterdrückter in eine Machtposition kommt, stimmt nur halb. Ohne für eine der Figuren des Stücks Partei zu ergreifen, entwickelt der Dramatiker ein höchst unterhaltsames soziales Experiment. Mit der Aussage, dass es nichts bringt, „das Unterste zuoberst zu kehren“ und einem Bauern das Zepter zu überlassen. Ein intelligentes Vergnügen für die Zuschauer, die so immer wieder neu mit Sympathie und Ablehnung auf die Akteure schauen können.

Weitere Termine im Sommertheater des Poetenpacks sind hier zu finden.

Zeitreise ins Mittelalter

Unser Mitglied Dyprand von Queis organisierte die Radtour am 15. Juli 2023 zum Museumsdorf Düppel in Berlin-Zehlendorf. Treffpunkt war die „Nike“ an der Glienicker Brücke. Dort erhielten die Teilnehmer das Briefing über den Weg, der uns über Klein Glienicke, Griebnitzsee, Königsweg entlang des Berliner Mauerwegs bis zum Freilichtmuseum führte. Trotz der hohen Temperaturen hatten sich die Meisten entschieden mitzukommen und es nicht bereut. So wurden zahlreiche Zwischenstopps zum Trinken eingelegt. Glücklicherweise führte der Radweg überwiegend durch schattige Waldgebiete.

Von der Tonscherbe zum mittelalterlichen Dorf

Am Freilichtmuseum begrüßten wir weitere Teilnehmer, die per PKW/ÖPNV zur Führung dazukamen.
Dabei erfuhren wir, dass ein Jugendlicher 1939 im heutigen Landschaftsschutzgebiet am Krummen Fenn im Ortsteil Düppel mittelalterliche Tonscheren fand. Erst weit nach dem 2. Weltkrieg wurden ab 1967 die Überreste einer Dorfanlage aus dem 12. Jahrhundert freigelegt.  Diese Zeitepoche war in der Region um Berlin von der Besiedlung slawischer Gebiete durch Einwanderung aus dem Westen und der Gründung der Mark Brandenburg geprägt. Die Archäologen schätzen, dass 80 bis 120 Menschen in dieser Siedlung gelebt haben. Mitglieder des Fördervereins Museumsdorf Düppel errichteten ab 1975 das Freilichtmuseum, seit 1995 gehört der Erlebnisort zum Stadtmuseum Berlin.

Geschichte live erleben

Durch das ehrenamtliche Engagement der Vereinsmitglieder lässt sich das Mittelalter hautnah nacherleben, erklärte uns die Führerin. So stellen sie in historischer Kleidung den ländlichen Alltag des Mittelalters mit Handwerk und Gebräuchen als lebendige Geschichte dar. Neben alten Nutzpflanzenarten kann man auch typische Nutztiere sehen, darunter Ochsen, nach historischem Vorbild gezüchtete Düppeler Weideschwein und die Skudde, eine vom Aussterben bedrohte Schafsrasse.

Das Museumsdorf ist von Frühjahr bis Herbst an jedem Wochenende geöffnet, sowie täglich in den Ferien. Die Besucher erwartet ein abwechslungsreiches Veranstaltungsprogramm für Menschen jeden Alters, doch besonders für Kinder.

Mittagsrast und Rückfahrt über die Schleuse Kleinmachnow

Nach der Führung stärkten wir uns bei Flammkuchen, Kartoffelpuffer oder Würstchen und einem kühlen Getränk in der lokalen Gastronomie. Auf der Rückfahrt machten wir einen Zwischenstopp an der Schleuse Kleinmachnow, die auf Initiative des Landrates Ernst von Stubbenrauch (1853-1909) zur Verbesserung der Abwasservorflut in der Region Teltow und für die Schifffahrt als Südumfahrung Berlins errichtet und 1906 von Kaiser Wilhelm II. eingeweiht wurde.
Das letzte Drittel des Weges führte uns vorbei am Südwestkirchhof direkt zum Eisessen in Griebnitzsee. Hier trennten sich die Wege.

Ein großes Dankeschön gilt Dyprand von Queis, der uns nicht nur sicher geführt, sondern auch unterwegs auf die eine oder andere Besonderheit hingewiesen hat. Alle Teilnehmer sind wohlbehalten in Potsdam angekommen. Die Tour-Aufzeichnung mit der App Komoot (einem Potsdamer Start-Up) wies eine Strecke von 32,6 km und eine Fahrzeit von 2:37 h aus.

Potsdamer Traumschlösser – die nie realisiert wurden

Der gebeugte Atlas auf dem Alten Rathaus gehört seit 1776 zu Potsdams Stadtbild. Doch die vergoldete Figur auf der Turmkuppel hätte fast ein Pendant bekommen. Entwürfe von 1913 sahen einen zweiten Turm mit einem zweiten Atlas auf dem Rathaus vor. Über dieses und weitere Luftschlösser berichtete der Stadtführer und Potsdam-Kenner Robert Leichsenring am Montag, dem 5. Juni 2023, in der Angerkirche beim Vereinstreff.

Eine andere Geschichte handelt von dem riesigen Schloss Belriguardo für Friedrich Wilhelm IV. auf Hermannswerder. Ab 1819 skizzierte er etwa 60 Entwürfe für sein Traumschloss, das in direkter Linie vom Schloss Sanssouci über die Havelbucht auf dem Tornow gebaut werden sollte. Die Blätter werden in der Plankammer von Sanssouci aufbewahrt. Auch von Schinkel (1823) und Persius (1828) gibt es Zeichnungen für ein Schloss nach antikem Vorbild. Am Ende fehlte das Geld für die Umsetzung.

Pläne über Pläne wurden für Potsdam über die Jahrhunderte gemacht. Viele blieben jedoch „Potsdamer Traumschlösser“, so auch die Höhenstraße vom Belvedere auf dem Klausberg bis zum Mühlenberg, wo ein gigantisches Denkmal für Friedrich dem Großen, 100 Jahre nach seinem Tod, entstehen sollte.

Robert Leichsenring überraschte und begeisterte die Zuhörer mit diesen unbekannten Zeichnungen und Plänen gleichermaßen. Es war ein spannender Abend.

Fest der Kulturerben auf dem Alten Markt

Am Sonntag, dem 4. Juni 2023, stellten sich beim Fest der Kulturerben rund 50 Vereine und Initiativen vor, die ein Bau-, Garten- oder technisches Denkmal bewahren, schützen und nutzen. Das Kulturerbenfest 2023 war Teil einer großen Sommerveranstaltung der Stadt Potsdam mit dem Motto: „Wir feiern unsere Stadt“. Zu den Aktivitäten rund um den UNESCO-Welterbetag gehörten u.a. eine UNESCO-Radtour am Vormittag, ein Orgelkonzert, das Filmfestival im Kutschstall und der Jahresempfang des Oberbürgermeisters. Der UNESCO–Welterbetag stand unter dem Motto „Unsere Welt. Unser Erbe. Unsere Verantwortung.“ Der Klimawandel ist eine der Bedrohungen für das Welterbe. Darum widmeten wir beim Fest der Kulturerben den Potsdamer Park- und Grünanlagen besondere Aufmerksamkeit.

Der Nachwuchs war das zentrale Thema unseres Kulturerbenfestes. Wir warben an diesem Tag um personellen Nachwuchs für unsere Vereine, aber auch für „grünen“ (pflanzlichen) Nachwuchs in unseren Parks. Das Fest bot allen Vereinen und Besuchern ein inspirierendes und vielfältiges Programm mit diversen Aktionen an den Ständen und auf der Bühne. Besucher konnten Seemannsknoten lernen, kleine Körbe flechten, eine Kirche basteln und historische Handwerkstechniken (Schnitzen, Vergolden) selbst ausprobieren. Aktuelle Projekte aus den Vereinen stellte Sabine Ambrosius vor, der Oberbürgermeister sprach den Ehrenamtlichen seinen Dank aus, Musik- und Showakts sorgen für gute Stimmung.

An unserem Stand füllten Mitglieder eine Mischung aus 40 verschiedenen Blumensamen von der Freundschaftsinsel in kleine Tüten und verschenkten 500 Stück an Interessierte. Begehrt waren auch wieder der handliche Ausflugsführer „Potsdamer Spaziergänge“ und die blauen Potsdam-Tragetaschen samt kleiner Überraschung. Wir konnten viele nette Gespräche führen und neue Kontakte knüpfen. Es hat viel Spaß gemacht, denn wir alle sind Kulturerben!

Zum Videofilm von gutfilm medienproduktion Olaf Gutowski

Sanssouci-Konzert „Il caro sassone“ der Kammerakademie Potsdam

„Viva il caro sassone!” – so feierte das begeisterte Publikum den „lieben Sachsen” Georg Friedrich Händel bei der Premiere der Oper „Agrippina” in Venedig im Jahre 1709. Die Zeit in Italien prägte den jungen Händel sehr: Er schrieb in dieser Zeit zwei Opern sowie zahlreiche Oratorien und Kantaten und lernte große Komponisten wie Corelli oder die Scarlatti-Brüder kennen.

Am 21. Mai 2023 brachte die Kammerakademie Potsdam unter Leitung des tschechischen Dirigenten und Cembalisten Václav Luks u.a. die Overtüre zu „Agrippina“ in der Friedenskirche zur Aufführung. Im Vorgespräch mit unseren Mitgliedern erklärte Luks die Idee zu diesem Programm im Rahmen der Sanssouci-Konzerte: „Für mich ist Händels Musik aus dieser Zeit sehr faszinierend, weil sie sich so von seinem Spätwerk unterscheidet, weil sie vollgeladen von italienischer Inspiration ist und weil Händel dort gelernt hat, mit der menschlichen Stimme umzugehen, wovon er sein ganzes Leben profitierte.” Der junge Händel ging nach seinem vierjährigen erfolgreichen Italienaufenthalt nach London und etablierte dort zuerst die italienische Oper, dann das englischsprachige Oratorium.

Václav Luks zählt als Gründer und Leiter des Prager Barockorchesters Collegium 1704 und des Vokalensembles Collegium Vocale 1704 zu den führenden Dirigenten und Interpreten im Bereich der historischen Aufführungspraxis. Unter seiner Leitung gastieren beide Ensembles auf berühmten Festivals und in bedeutenden Konzertsälen weltweit.

„Sein Interesse für die historische Aufführungspraxis ist ein wichtiger Treibstoff für die KAP“, sagt Chefdirigent Antonello Manacorda. „Schon seit der Gründung ist das Orchester offen dafür, mit Dirigenten wie Václav neue Interpretationsmöglichkeiten und Werke zu entdecken. Die Zusammenarbeit mit ihm in der Vergangenheit war sehr bereichernd und inspirierend.”

In den kommenden drei Spielzeiten kuratiert Václav Luks als künstlerischer Partner die Sanssouci-Konzerte, in der Saison 22/23 ist er zudem Artist in Residence bei der KAP.

Die Herzen des Publikums gewann die aus Rom stammende Sopranistin Roberta Mameli mit den Kantaten „Armida abbandonata“ und „Tu fedel? Tu constante?“von Händel. Sie gilt Dank ihrer großen Vielseitigkeit und ihres kristallklaren Tons als eine der besten Interpretinnen des barocken Repertoires. Roberta Mameli singt weltweit in großen Konzertsälen und Opernhäusern. Nun erlebten wir die charmante Sängerin, die kurzfristig für die verhinderte Siobhan Stagg eingesprungen ist, in der Friedenskirche von Sanssouci.


Der vergessene Park Potsdams

Der Wildpark ist Teil der Berlin-Brandenburger Kulturlandschaft, die sich im Nordosten von der Pfaueninsel über Sacrow, Glienicke, Neuer Garten, Sanssouci, Neues Palais bis Paretz im Nordwesten und Caputh, Petzow und Ferch im Südwesten erstreckt. Im Kerngebiet der Potsdamer Kulturlandschaft stellt der Wildpark mit 875 ha, die zentrale Fläche dar, das ist nahezu ein Drittel der „Insel“ Potsdam. „Das Waldgebiet ist um ein Mehrfaches größer als der Park Sanssouci, der eine Fläche von etwa 290 ha hat“, erklärte der Vorsitzende des Wildparkvereins, Dr. Carsten Leßner, beim monatlichen Vereinstreff am 8. Mai 2023 in der Angerkirche. Er leitet die oberste Forst- und oberste Jagdbehörde des Landes Brandenburg im Landwirtschaftsministerium und geht im Wildpark regelmäßig zur Jagd.

Kurfürsten und Könige nutzten seit dem 17. Jahrhundert den Wildpark als Jagdrevier, der 1833 in den von Peter Joseph Lenné erstellten „Verschönerungsplan der Umgebung von Potsdam” einbezogen wurde. 1842 ließ Friedrich Wilhelm IV. den Wildpark komplett einzäumen und Lenné vollendete mit dem Architekten Ludwig Persius die Parkgestaltung. Es wurden vier Forsthäuser im romantisch-mittelalterlichen Stil gebaut, Gehölze angepflanzt und Wild angesiedelt.  Die Ecken der Gebäude wurden mit Tierköpfen verziert.

Am Sanssouci-Tor stehen zwei Bronze-Hirsche, die Christian Daniel Rauch im Auftrag von Friedrich Wilhelm IV. schuf. Von 1845 bis 1945 zierten die metallenen Hirsche den Eingang am Forsthaus Kuhfort. Nach dem Krieg beschlagnahmte die Rote Armee die Skulpturen und stellte sie vor dem Theater auf dem Militärgelände in Wünsdorf auf. Saskia Hüneke, Skulpturen-Kustodin der Schlösserstiftung, gelang es 1994 die wertvollen Plastiken von den abrückenden Truppen zu erwerben und im Stiftungsdepot einzulagern. Mithilfe zahlreicher Spender und des Engagements des Wildpark e.V. konnten die Hirsche nach erfolgter Restaurierung 2006 wiederaufgestellt werden.

Der Wildpark e.V. war 2004 von engagierten Bürgern der Wildpark-West gegründet worden, um die „Havelspange“ zu verhindern, die direkt durch das Waldgebiet geführt hätte und neben der bestehenden Bahnstrecke eine weitere Querung zur Folge gehabt hätte. Aktuell hat der Verein etwa 140 Mitglieder. Mit Aktionen wie das gemeinsame Müllsammeln mit den Potsdamer Plastik-Piraten, einem Konzert am Pfingstmontag und dem jährlichen Weihnachtsmarkt am 1. Advent möchte der Verein auf sein Anliegen aufmerksam machen und die Öffentlichkeit zur Teilnahme einladen.

Das 19. Pfingstkonzert findet am Pfingstmontag, dem 29. Mai 2023 am Wegstern im Wildpark statt.
Beginn ist um 11 Uhr mit der A-capella-Gruppe „mündlich:6″ aus Berlin-Friedrichshain.
Der Eintritt ist frei. Bei Kaffee, Kuchen und Getränken freuen sich die Mitglieder auf viele Gäste, um gemeinsam einen musikalischen Leckerbissen unter freiem Himmel zu genießen. Die Gruppe „mündlich:6″ bietet ein 90er-Jahre-Programm mit Hits von Michael Jackson, Britney Spears, den Backstreet Boys und vielen mehr.

Die Potsdamer Mitte im Wandel

Wohl kaum ein anderer Stadtraum Potsdams offenbart eine solche Dynamik wie die Potsdamer Mitte. Dort, wo einst die Stadtgeschichte begann, entwickelt sich ein neues Quartier zum Leben und Arbeiten. Bei einem einstündigen Rundgang am 24. April 2023 vermittelte Marketingchefin der Landeshauptstadt Dr. Sigrid Sommer Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Potsdamer Mitte.
Unter den Teilnehmern konnten die in Potsdam Geborenen die Bilder aus der DDR-Zeit gut erinnern, einige erlebten die Weichenstellungen in den 90er Jahren und engagierten sich ab 2006 bei der Initiative Mitteschön. Die meisten Teilnehmer wohnen allerdings erst seit wenigen Jahren in Potsdam und staunten über manche Details. So zum Beispiel, dass der auf dem Alten Markt noch zu DDR-Zeiten begonnene Bau des Hans-Otto-Theaters wieder abgerissen wurde und ein Provisorium (im Volksmund „Blechkiste“ genannt) viele Jahre den Platz dominierte, bis der Neubau an der Schiffbauergasse 2006 fertiggestellt wurde. Bereits 2002 wurde das von Günther Jauch gespendete Fortunaportal eingeweiht. Dort fanden ab 2006 die Montagsdemonstrationen zur Wiedergewinnung der Potsdamer Mitte mit dem Landtagsneubau auf dem Grundriss des ehemaligen Stadtschlosses statt. Ende 2006 wurden in einer Bürgerbefragung die Standorte Stadtschloss, Speicherstadt oder Palais Barberini für den zukünftigen Landtag Brandenburg/Berlin zur Abstimmung gegeben. Die Mehrheit machte den Weg frei für den Landtagsbau auf dem Alten Markt und Mäzen Hasso Plattner erfüllte den Wunsch der Demonstranten und finanzierte die Komplettierung des Gebäudes mit der historischen Fassade und zu guter Letzt spendierte er auch noch das Kupferdach.

Treffpunkt zum Rundgang war die Fahnentreppe des Landtagsschlosses, die durch die goldenen Puten hervorsticht. Gegenüber liegt das älteste Gebäude der Stadt, der Marstall, der einst als Pomeranzenhaus errichtet wurde und seit 1981 das Filmmuseum beherbergt. Die Ringerkollonade, als ehemalige Verbindung von Marstall und Stadtschloss, ist rudimentär erhalten. Das neue Quartier an der Ecke Schloßstraße/Friedrich-Ebert-Straße bis zur Schwertfegerstraße wird durch die neue Synagoge und Leitfassaden wie das „Achtecken-Haus“ und das ehemalige Hotel „Einsiedler“ charakterisiert. Vis-á-vis entwickelt sich der Block III am Standort der abgerissenen Fachhochschule. Er soll, ebenfalls mit Eck-Leitfassaden versehen, 2024 bezugsfertig sein. Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaften bieten hier Wohnraum und Gewerbeflächen an.

Mit großer Freude nahmen die Teilnehmer die Pläne für eine zukünftige Begrünung am Steubenplatz, hinter der Nikolaikirche und vor dem Filmmuseum zur Kenntnis.

Bereits vor fünf Jahren wurde das Quartier mit dem Palais Barberini, der Nachbarbebauung um den Otto-Braun-Platz mit der Bittschriftenlinde bis zur Alten Fahrt fertiggestellt. Durch die erstklassigen Kunstwerke der Hasso-Plattner-Kunstsammlung ist das Museum Barberini seitdem neben Sanssouci der Besuchermagnet in Potsdam für internationale Gäste. Die Stadt ist seinen Mäzenen und Spendern für ihr Engagement zu großem Dank verpflichtet.

Böhmische Geschichte und Babelsberger Köpfe

In der ehemaligen Priesterstraße, die seit 1945 Karl-Liebknecht-Straße heißt, befindet sich in der Nummer 23 ein kleines Stadtteilmuseum. Interessierte erfahren in diesem Weberhaus Wissenswertes über die Geschichte von Nowawes und die ersten Siedler, die Böhmischen Weber. Die Kolonie Nowawes wurde ab 1752 von Friedrich dem Großen für glaubensverfolgte evangelische Weber und Spinner aus Böhmen errichtet, erläuterte Dr. Kirstin Dautzenberg, die Vereinsvorsitzende des Förderkreises Böhmisches Dorf Nowawes und Neuendorf e.V., den Teilnehmern am monatlichen Kulturstadt-Vereinstreff am 3. April 2023 in der Angerkirche.

Der Förderkreis wurde im April 1992 gegründet, um sich für den Erhalt von historisch Wertvollem einzusetzen und ein Stadtteilmuseum einzurichten, um Einwohner und Gäste über die Vergangenheit zu informieren und in Babelsberg jährlich ein Stadtteilfest am Weberplatz zu etablieren. Aktuell zählt der Verein rund 60 Mitglieder und würde sich über neue Interessierte sehr freuen.

Zu den Vereinsaufgaben gehören neben die Öffnung der Weberstube (jeweils dienstags bis donnerstags von 13 bis 16 Uhr) individuelle Stadtteilführungen für Große und Kleine sowie monatliche Veranstaltungen über „Babelsberger Köpfe“. Die nächste Veranstaltung findet am 10. Mai um 19 Uhr statt. Andreas Huxol spricht zum Thema „Aus dem Leben der Nowaweser und Potsdamer Handwerker“.

In Zusammenarbeit mit der Medienwerkstatt, der Goethe-Grundschule und dem Bertha-von-Suttner-Gymnasium erstellen Schüler in einem aktuellen Projekt Kurzfilme und einen virtuellen Museumsrundgang. In der Wintersaison 2022/23 wurde das Schaufenster der Weberstube als digitales Schaufenster zur Präsentation von Kurzfilmen und digitalen Inhalten genutzt und stieß auf positive Resonanz. Der Verein konnte sich so nicht nur außerhalb der Öffnungszeiten präsentieren, sondern erhielt durch zahlreiche Posts in den sozialen Medien eine zusätzliche Aufmerksamkeit.

Im Anschluss an den Vortrag tauschten sich die Teilnehmer bei mitgebrachten Schmalzstullen, Osterbrot, Wasser, Tee und Wein lebhaft aus und schmiedeten Pläne für das bevorstehende 20-jährige Jubiläum des Kulturstadtvereins.

Der Eine konstruiert, der Zweite baut, der Dritte macht Musik

Das wechselvolle Schicksal der Alten Neuendorfer Kirche schilderte Kurt Schwetasch am 7. März 2023 beim Vereinstreff sehr anschaulich. Der markante Oktogonbau wurde nach dem Vorbild der Kölner Kirche St. Gereon errichtet und 1853 eingeweiht. Er bot Platz für 200 Gläubige. Durch die Ansiedlung der böhmischen Weber und die rasante industrielle Entwicklung im Ort wurde die Kirche schnell zu klein und deshalb unmittelbar daneben 1899 die viel größere Bethlehemkirche errichtet. Die Gemeinde zog um, das Oktogon hieß seither „Alte Neuendorfer Kirche“. Sie diente später u.a. als Kartoffellager und wurde vom Volksmund deshalb auch Kartoffelkirche genannt.

Im Zweiten Weltkrieg erlitt die Bethlehemkirche Kriegsschäden und wurde 1952 gesprengt. Heute erinnert der gemauerte Grundriss auf dem Neuendorfer Anger daran. Obwohl auch das Oktogon beschädigt wurde, blieb es durch das beherzte Argumentieren eines Nachbarn, der ein Gaslager betrieb, erhalten. Er verhinderte, dass die Abfahrt von der Nuthe-Schnellstraße über den Neuendorfer Anger geführt wurde.

Auferstanden aus Ruinen

So überlebte die Alte Neuendorfer Kirche die Zeit als Ruine und wurde durch den 1999 gegründeten Förderverein mit viel ehrenamtlichem Engagement, tatkräftigem Einsatz von Fachleuten sowie dem Sponsoring von Unternehmen und „Sternenpaten“ gerettet. Heute steht sie den Bürgern als Standesamt sowie für kirchliche und kulturelle Zwecke offen. Seit diesem Jahr können auch wir unseren Vereinstreff hier durchführen.

Filmtipp: Authentischer Rückblick in Gedenken an die Initiatorin Gisela Opitz, Pfarrerin und Stadtverordnete hier

Rückblick:  Mitglieder des Kulturstadtvereins im Gespräch mit Anwohnern am Neuendorfer Anger im Mai 2017 hier

Kurt Schwetasch wurde in Stuttgart geboren, wuchs in Babelsberg auf, floh vor dem Mauerbau in den Westen und kam nach der Wiedervereinigung zurück. Mit seiner Frau, die am Neuendorfer Anger ihr Elternhaus hatte, wurden sie Gründungsmitglieder des Fördervereins. Seit der Fertigstellung der Kirche 2007 organisierte und betreute er gemeinsam mit seiner Frau bis zu ihrem Tod 2016 alle laufenden Eheschließungen, Gottesdienste und Konzerte. Heute kümmert sich Kurt Schwetasch weiterhin die um Gottesdienste und steht für Führungen, wie zum Beispiel am Tag des offenen Denkmals, zur Verfügung.

Wer war Otto Lilienthal?

Diejenigen, die meinten, schon alles Wichtige über Otto Lilienthal (1848-1896) zu wissen, wurden eines Besseren belehrt. Beim monatlichen Vereinstreff am 6. Februar 2023, der erstmalig in der Kirche am Neuendorfer Anger stattfand, berichtete der Urenkel Dr. Wolfgang Lilienthal auch über wenig bekannte Seiten des berühmten Vorfahren, der durch seine spektakulären Flugversuche als Flugpionier in die Geschichte eingegangen ist.

Unternehmer und Erfinder

In erster Linie war Otto Lilienthal ein einfallsreicher Ingenieur und Erfinder und wurde dadurch zum erfolgreichen Unternehmer. Seine Ausbildung erhielt der in Anklam geborene Lilienthal nach dem Abitur von 1864 bis 1866 an der Gewerbeschule in Potsdam. Anschließend folgte eine Ingenieursausbildung in Berlin. Seine Firma, die Otto Lilienthal Maschinen- und Dampfkesselfabrik, gründete er 1881. Bekannt sind 25 Patente von ihm, die meisten betreffen seine Tätigkeit als Maschinenbauingenieur. Einige Patente meldete er gemeinsam mit oder für seinen Bruder Gustav (z.B. den Anker-Steinbaukasten) an. Nur vier Patente betreffen Flugmaschinen. 

Vom Schritt zum Sprung, vom Sprung zum Flug

Otto Lilienthals Arbeitsweise war stets durch unermüdliches Beobachten, Testen, Messen und Berechnen gekennzeichnet. Dokumentiert sind Messreihen von 1874 zur Auftriebsmessung an gewölbten Flächen mit unterschiedlichen Anstellwinkeln, mit dem Vergleich zu Werten an ebenen Flächen. 1889 veröffentlichte der Flugpionier im Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ seine Erkenntnis, dass gewölbte Tragflächen einen größeren Auftrieb liefern als ebene Flächen. Mit dem ersten „manntragenden“ Flugzeug der Welt, dem Derwitzer Apparat (1891), erreichte er eine Flugweite von 25 Metern. 1894 nahm er seinen Standard-Eindecker als Normal-Apparat in Betrieb. Dieser wurde in Serie gefertigt und als erstes Flugzeug vermarktet. Käufer aus Deutschland, Frankreich, England, Amerika, Russland und Australien zahlten für den Normalsegelapparat damals 500 Mark.
Lilienthal nutzte „Absprungplätze“ in der Sandgrube bei Derwitz, in Steglitz Südende, Steglitz Maihöhe,  vom Fliegeberg Lichterfelde und vom Gollenberg in Stölln. Vom Gollenberg gelangen dem Visionär Flüge bis 250 Meter (inkl. Kehrtwende). Der Gollenberg gilt als erster Flugplatz der Welt. Dort stürzte Otto Lilienthal 1896 ab und erlag einen Tag später seinen Verletzungen.

Kunstmäzen und sozial engagiert

Lilienthal, der aus ärmlichen Verhältnissen stammt, hat sich zeitlebens sozial engagiert. So zahlte er zum Beispiel den Arbeitern und Angestellten seiner Firma 1890 „unter Fortfall der Akkordarbeiten, Beibehaltung der Lohnsätze und der bisherigen Fabrik-Ordnung eine Beteiligung am Reingewinn des Geschäfts in Höhe von 25 Prozent“.
Als Kunstmäzen unterstützte er das von Max Samst 1890 gegründete Ostend-Theater in der Großen Frankfurter Straße 132 (heute Karl-Marx-Allee 78/79) und wandelte das Haus in ein Volkstheater mit dem Namen Nationaltheater („Zehn-Pfennig-Theater“) um. Dort trat er auch als Schauspieler auf.

Auf die Frage an den Referenten, wie er mit solch einem weltberühmten Vorfahren umgehe, antwortete Dr. Wolfgang Lilienthal „durch Abgrenzung“. Er habe als Tierarzt mit ehemaliger Tätigkeit in der Pharma-Industrie nichts mit dem Fliegen zu tun.

Seine Filmempfehlung zum Ende des Vortrags > Link