Der Baufachmann, Denkmalpfleger und Kirchenhistoriker Andreas Kitschke war am 4. September beim Vereinsstammtisch in der Kirche am Neuendorfer Anger zu Gast. Sein Thema lautete: der Potsdamer Lustgarten (1945-2014). Natürlich fing die Geschichte bei ihm nicht im Jahre 45 an, sondern beim ersten Renaissancegarten, beim Kurfürsten und seinem Pomeranzenhaus (später Marstall, heute Filmmuseum). Es folgte der Soldatenkönig. Andreas Kitschke mag die Bezeichnung nicht, weil dieser König bekanntlich keine Kriege führte. Aber Friedrich Wilhelm I. machte den Lustgarten platt für seinen Exerzierplatz.
Kriegszerstörungen, der politisch motivierte Schlossabriss, Stadionbau, Aufmarschstrecke mit Liebknecht-Forum sowie ein Theaterbau, der in der DDR begonnen wurde, waren seine Themen für die Zeit bis zum Mauerfall.
Er hat die Wiederherstellung der historischen Mitte immer vehement befürwortet, deshalb erlaubt er sich auch Kritik an Neubausünden, namentlich an der Blu-Fassade und der neuen Speicherstadt, die er als Störung der historischen Sichtachse vom Brauhausberg aus empfindet.
Auch der neue Lustgarten ist nicht sein Lieblingskind: Zu viel Beton, zu eckig. Dabei hatten die Gestalter zur Bundesgartenschau 2001 gerade auf historische Bezüge verwiesen. Andreas Kitschke war 2014 an einer „Planungswerkstatt im Dialog – Lustgarten“ als Gutachter beteiligt, bei der sieben Planungsbüros ihre Entwürfe eingereicht hatten. Ziel war es, nochmals den Lustgarten anzufassen, um ihn bürgerfreundlicher zu machen, Stichwort: Mehr Grün. Es gab damals eine Infobox und 80.000 Besucher auf einer eigens angelegten Website. Andreas Kitschke sagt: „Danach hat man nie wieder etwas von den Plänen gehört.“
Text und Foto Angerkirche: Bolko Bouché | Fotos vom Lustgarten: Dr. Peter-Michael Bauers
Die Vereinsmitglieder feierten am 19. August 2023 ihr traditionelles Sommerfest und begingen gleichzeitig ihr Gründungsjubiläum. Wir waren zu Gast beim Bauverein Winzerberg e.V. und genossen die Abendsonne an festlich gedeckten Tischen. Wie gewohnt hatten die Mitglieder mit Spezialitäten aus der eigenen Küche zu einem reich gedeckten Tisch beigetragen. Dazu gab es Fleisch vom Grill. Bis zum Einbruch der Dunkelheit verbrachten die Mitglieder und ihre Gäste einen wundervollen Sommerabend mit Musik vom Potsdamer Jazzduo Wallbrecht und angeregten Gesprächen. Unter unseren Gästen waren Marc Jumpers, Leiter des Fachbereichs Denkmalschutz der Stadt Potsdam, und Dr. Uwe Koch, Präsident von Europa Nostra Deutschland sowie Vorstände der mehrerer Kulturerben-Vereine der Stadt Potsdam.
Vorsitzende Fides Mahrla und Vorstand Bolko Bouché erinnerten an die Gründungsgeschichte. Die beiden hatten damals Personen aus ihrem privaten Bekanntenkreis für eine Vereinsgründung geworben und so überaus engagierte Gründungsmitglieder gefunden. So sind Karin Hennig, Peter Schultheiß und Helmut Götschmann bis heute im Verein aktiv. Bis heute aktives Vorstandsmitglied ist Dr. Frank Dietrich, der leider beim Sommerfest nicht dabeisein konnte.
Der Verein wurde seinerzeit gegründet, um durch bürgerschaftliches Engagement die Bewerbung Potsdams als Kulturhauptstadt Europas zu unterstützen. Bekanntlich machte damals die Stadt Essen das Rennen, aber die Begeisterung der Vereinsmitglieder für ihre Stadt hielt an und sie suchten sich neue Aufgaben. Mehr darüber lesen Sie hier.
Das Vereinsjubiläum wurde genutzt, um das aktualisierte www.Potsdam-Wiki.de vorzustellen. Der Online-Stadtführer ist jetzt auch über Handy gut nutzbar, und die Eingabe wurde vereinfacht. Auch Seite www.Kulturerben-Potsdam.de hat ein Update erfahren. Dort werden ab 2024 die Veranstaltungstermine der über 40 Kulturerbenvereine zu lesen sein.
Dem Kulturstadtverein gehören rund 140 Mitglieder an, ein großer Teil von ihnen schon über viele Jahre. Darauf sind wir stolz. Wir suchen zusätzlich aktiven Nachwuchs für unsere Projekte, zum Beispiel ehrenamtliche Redakteure, Fotografen und Korrektoren für Potsdam-Wiki. Dafür muss man kein Vereinsmitglied sein.
Wir bedankten uns bei den Gastgebern vom Winzerberg e.V. für die Gastfreundschaft mit einer Spende. Das Geld wird verwendet, um historische Eisenvasen nachgießen zu lassen.
Impressionen vom Sommerfest 2023 – Fotos von Hans-Jürgen Krackher und Bolko Bouché
Jedes Jahr im Sommer erwacht das Heckentheater im Park Sanssouci zu neuem Leben und beschert dem Publikum zauberhafte Theatermomente. Am 28. Juli 2023 schien das Regenwetter das Erlebnis zu trüben. Doch pünktlich zum Vorgespräch klarte sich der Himmel auf und die Schauspieler Willi Händler und Sibylla Rassmusen begrüßten unsere Gruppe, während auf der Bühne die letzten Regenpfützen weggefegt wurden.
Ludvig Holberg – der „dänische Molier“
Die Komödie „Jeppe vom Berge oder eine Nacht im Paradies“ des dänisch-norwegischen Dichters Ludvig Holberg wurde 1722 in Kopenhagen uraufgeführt und gehört bis heute zu den Lieblingsstücken des dänischen Publikums, während es in Deutschland weitestgehend unbekannt blieb. Holbergs Komödien handeln von Menschen, die die Vernunft ablehnen und sich von einer skurrilen Passion oder Schwäche leiten lassen. Die Komik wird durch Intrigen oder eine Narretei erzeugt, die gegen die Hauptperson ins Werk gesetzt wird, um sie von ihren Schwächen zu kurieren. Holbergs Komödien haben ihre Wurzeln in der Commedia dell’arte, die er bei seinem Italienaufenthalt kennengelernt hatte. Im Aufbau folgte er Molière, erläuterte Willi Händler im Vorgespräch.
Dänischer Humor sehr speziell
Im 18. Jahrhundert waren 80 Prozent der Dänen Sklaven, die von den Herrschenden ausgebeutet wurden, erklärte Sibylla Rasmussen, eine dänisch-deutsche Schauspielerin, die im Stück als Nille – die Frau von Jeppe – auftritt, den Zuhörern. Die Bauern waren damals „dumm und faul“ und stark dem Alkohol verfallen, so ihr Kommentar. Überrascht war die Dänin, als sie das Stück im Deutschen las. „Im Dänischen erzeugt die Sprache eine humoristische Vielfalt, die im Deutschen verblast und hart klingt“, sagte die Schauspielerin.
Amüsanter Schwank mit aktuellen Bezügen
Die Vermutung, Holberg habe mit dem kraftvollen Stück zeigen wollen, was passiert, wenn ein Unterdrückter in eine Machtposition kommt, stimmt nur halb. Ohne für eine der Figuren des Stücks Partei zu ergreifen, entwickelt der Dramatiker ein höchst unterhaltsames soziales Experiment. Mit der Aussage, dass es nichts bringt, „das Unterste zuoberst zu kehren“ und einem Bauern das Zepter zu überlassen. Ein intelligentes Vergnügen für die Zuschauer, die so immer wieder neu mit Sympathie und Ablehnung auf die Akteure schauen können.
Weitere Termine im Sommertheater des Poetenpacks sind hier zu finden.
Vorsitzende Fides Mahrla bei der Begrüßung
Foto: Karin Hennig
Willi Händler und Sybilla Rasmussen bei der Einführung zum Stück
Foto: Fides Mahrla
Trockenlegung der Bühne
Foto: Karin Hennig
Die dänisch-deutsche Schauspielerin, Sibylla Rasmussen spielt im Stück die Nille, die Frau von Jeppe. Willi Händler ist in der Rolle von Baron Nillus zu sehen.
Foto: Fides Mahrla
Willi Händler und Sybilla Rasmussen bei der Einführung zum Stück
Foto: Fides Mahrla
links, Jeppe (Georg Peetz) und Jakob (André Kudella)
Unser Mitglied Dyprand von Queis organisierte die Radtour am 15. Juli 2023 zum Museumsdorf Düppel in Berlin-Zehlendorf. Treffpunkt war die „Nike“ an der Glienicker Brücke. Dort erhielten die Teilnehmer das Briefing über den Weg, der uns über Klein Glienicke, Griebnitzsee, Königsweg entlang des Berliner Mauerwegs bis zum Freilichtmuseum führte. Trotz der hohen Temperaturen hatten sich die Meisten entschieden mitzukommen und es nicht bereut. So wurden zahlreiche Zwischenstopps zum Trinken eingelegt. Glücklicherweise führte der Radweg überwiegend durch schattige Waldgebiete.
Von der Tonscherbe zum mittelalterlichen Dorf
Am Freilichtmuseum begrüßten wir weitere Teilnehmer, die per PKW/ÖPNV zur Führung dazukamen.
Dabei erfuhren wir, dass ein Jugendlicher 1939 im heutigen Landschaftsschutzgebiet am Krummen Fenn im Ortsteil Düppel mittelalterliche Tonscheren fand. Erst weit nach dem 2. Weltkrieg wurden ab 1967 die Überreste einer Dorfanlage aus dem 12. Jahrhundert freigelegt. Diese Zeitepoche war in der Region um Berlin von der Besiedlung slawischer Gebiete durch Einwanderung aus dem Westen und der Gründung der Mark Brandenburg geprägt. Die Archäologen schätzen, dass 80 bis 120 Menschen in dieser Siedlung gelebt haben. Mitglieder des Fördervereins Museumsdorf Düppel errichteten ab 1975 das Freilichtmuseum, seit 1995 gehört der Erlebnisort zum Stadtmuseum Berlin.
Geschichte live erleben
Durch das ehrenamtliche Engagement der Vereinsmitglieder lässt sich das Mittelalter hautnah nacherleben, erklärte uns die Führerin. So stellen sie in historischer Kleidung den ländlichen Alltag des Mittelalters mit Handwerk und Gebräuchen als lebendige Geschichte dar. Neben alten Nutzpflanzenarten kann man auch typische Nutztiere sehen, darunter Ochsen, nach historischem Vorbild gezüchtete Düppeler Weideschwein und die Skudde, eine vom Aussterben bedrohte Schafsrasse.
Das Museumsdorf ist von Frühjahr bis Herbst an jedem Wochenende geöffnet, sowie täglich in den Ferien. Die Besucher erwartet ein abwechslungsreiches Veranstaltungsprogramm für Menschen jeden Alters, doch besonders für Kinder.
Mittagsrast und Rückfahrt über die Schleuse Kleinmachnow
Nach der Führung stärkten wir uns bei Flammkuchen, Kartoffelpuffer oder Würstchen und einem kühlen Getränk in der lokalen Gastronomie. Auf der Rückfahrt machten wir einen Zwischenstopp an der Schleuse Kleinmachnow, die auf Initiative des Landrates Ernst von Stubbenrauch (1853-1909) zur Verbesserung der Abwasservorflut in der Region Teltow und für die Schifffahrt als Südumfahrung Berlins errichtet und 1906 von Kaiser Wilhelm II. eingeweiht wurde.
Das letzte Drittel des Weges führte uns vorbei am Südwestkirchhof direkt zum Eisessen in Griebnitzsee. Hier trennten sich die Wege.
Ein großes Dankeschön gilt Dyprand von Queis, der uns nicht nur sicher geführt, sondern auch unterwegs auf die eine oder andere Besonderheit hingewiesen hat. Alle Teilnehmer sind wohlbehalten in Potsdam angekommen. Die Tour-Aufzeichnung mit der App Komoot (einem Potsdamer Start-Up) wies eine Strecke von 32,6 km und eine Fahrzeit von 2:37 h aus.
Start an der Glienicker Brücke; Ziel ist das Museumsdorf Düppel in Zehlendorf
Karte: Google mit der App Komoot
Morgenbriefing durch Dyprand von Queis vor der Radtour an der Glienicker Brücke
Foto: Fides Mahrla
Einweisung an der Glienicker Brücke
Foto: Fides Mahrla
Sammeln nach dem Erklimmen des Babelsbergs
Foto: Fides Mahrla
Zwischenstopp an der Autobahnbrücke
Foto: Fides Mahrla
Zwischenstopp an der Autobahnbrücke
Foto: Fides Mahrla
Ankunft in Düppel. Die Pfeife für den Ernstfall musste Tourenführer Dyprand von Queis nicht einsetzen 😉
Foto: Fides Mahrla
Führung durch das Museumsdorf Düppel
Foto: Katrin Jütte
Mittagsrast
Foto: Fides Mahrla
Imkerei
Foto: Fides Mahrla
Foto: Katrin Jütte
Foto: Katrin Jütte
Foto: Katrin Jütte
Wohnraum für 6-8 Personen
Foto: Fides Mahrla
Foto: Katrin Jütte
Gefärbte Wolle
Foto: Katrin Jütte
Foto: Fides Mahrla
Foto: Fides Mahrla
Foto: Fides Mahrla
Foto: Katrin Jütte
Mühlsteine zum Mahlen von Getreide
Foto: Fides Mahrla
Foto: Fides Mahrla
Foto: Fides Mahrla
Foto: Katrin Jütte
Foto: Katrin Jütte
Start zur Rückfahrt vom Freilichtmuseum nach Potsdam
Foto: Katrin Jütte
Wahrzeichen der unter Denkmalschutz stehenden Schleuse sind die beiden 14 Meter hohen Turmbauten mit einer Spitzdachkonstruktion für die vier Hubtore. Die architektonische Gestaltung stammt von Friedrich Lahrs.
Foto: Fides Mahrla
Blick in Schleusenkammer
Foto: Fides Mahrla
Schleuse Kleinmachnow
Foto: Fides Mahrla
Linie 96 fuhr von der Machnower Schleuse über Stahnsdorf, Teltow, Seehof, Lichterfelde und Tempelhof bis zur Behrenstraße. Mit dem Mauerbau am 13. August 1961 und dem Bau der Grenzanlagen wurde der durchgehende Verkehr unterbrochen.
Thomas Wernicke, der Vorsitzende der Studiengemeinschaft Sanssouci, war am 3. Juli 2023 zu Gast beim monatlichen Vereinstreff in der Kirche am Neuendorfer Anger und stellte seinen Verein vor. Dabei betonte der stadtbekannte Historiker, Museologe und exzellente Potsdam-Kenner, dass sich die Mitglieder nicht als Historikervereinigung verstehen.
Die Studiengemeinschaft Sanssouci e.V. – Verein für Kultur und Geschichte Potsdams – ist eine gemeinnützige Vereinigung zur Pflege und Verbreitung des Wissens über die Geschichte der Stadt Potsdam und der sie umgebenden Kulturlandschaft. Sie steht in der Tradition des 1862 gegründeten und bis 1945 aktiven Vereins für die Geschichte Potsdams. Im Dezember 1969 wurde die „Interessengemeinschaft Sanssouci“ in Potsdam gegründet, den jetzigen Namen trägt sie seit 1990.
Es werden monatliche Vorträge im Potsdam Museum angeboten. Gäste sind jederzeit herzlich willkommen. Die Veranstaltungen sind eintrittsfrei. Darüber hinaus finden für Mitglieder Studienfahrten, Führungen und Wanderungen statt.
Seit 1996 gibt der Verein Jahreshefte heraus, in denen wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte Potsdams von Mitgliedern und Freunden der Vereinigung veröffentlicht werden. Ein besonderes Anliegen ist dabei die Förderung der Publikationstätigkeit von Studierenden. Auf der Webseite finden Interessierte eine vollständige Übersicht der jährlich erschienenen „Mitteilungen“ und weitere Literaturempfehlungen, die in der Stadt- und Landesbibliothek im Bereich „Brandenburgica“ zu entleihen sind.
Des Weiteren sind die rund 240 Mitglieder bemüht, die Arbeit der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg und anderer lokal- und regionalgeschichtlicher Museen wie auch Projekte der Denkmalpflege zu fördern.
Beim anschließenden Gedankenaustausch wurde vereinbart, dass den Mitgliedern von Kulturstadt Potsdam e.V. die Termine für die kommenden Veranstaltungen bekannt gegeben werden. Gleichzeitig würden wir uns freuen, wenn das vorhandene Wissen der Studiengemeinschaft Sanssouci in unser Projekt Potsdam-Wiki, das der Kulturstadtverein 2006 gestartet hat, einfließen könnte. Das kostenfreie Online-Lexikon umfasst bereits rund 1.800 Artikel. Es wurde weltweit schon mehr als 18 Millionen Mal aufgerufen und ist damit eines der meistgenutzten Internetportale Brandenburgs. Nach außen ist es beste Werbung für unsere Stadt. Für die Potsdamer ist es ein Mitmach-Projekt. 400 Autoren haben bereits ihr Wissen beigesteuert.
Mit Robert Leichsenring hatte der Kulturstadt Potsdam e.V. nicht nur einen professionellen Gästeführer für die Besichtigung der Halbinsel Hermannswerder am 20. Juni 2023 gewonnen, sondern auch einen echten Inselbewohner, der mit Sachkunde und Humor die Spuren der Geschichte deutete.
Leidenschaft fürs Detail
Mit Leidenschaft fürs Detail berichtete Robert Leichsenring über die Nebengebäude, über die nirgends etwas geschrieben steht. Zum Beispiel über den alten Gutshof, der schon bei den Diakonissen zur Selbstversorgung diente, Viehhaltung gehörte selbstverständlich dazu. Und auch die sowjetische Seuchenklinik, die nach dem Krieg bis in die 1990-er Jahre hinein einen großen Teil der Insel für sich beanspruchte, hielt eigenes Vieh, zum Beispiel Schweine. Insel-Bewohner erinnerten sich, dass sie im Tausch gegen zwei Magazin-Hefte – mit der Abbildung nackter Frauen – von Soldaten zwei Kaninchen erhalten hatten.
Schleifspuren auf der Fensterbank
Auch zur zivilen Wäscherei, die von Diakonissen-Schwestern betrieben wurde, wusste Robert Leichsenring Anekdoten zu berichten. So brachten sowjetische Militärangehörige täglich große Mengen Krankenhauswäsche zu den Schwestern. Die Wäschekörbe reichten sie immer durch eines der Fenster, wovon heute noch die Schleifspuren auf dem Backstein der Fensterbank zeugen. Dass die Soldaten die Wartezeit nutzten, um Heimatorte und Jahreszahlen in den Backstein zu ritzen, ist sicher nicht weiter erstaunlich. Jedoch wunderten sich einige Vereinsmitglieder, wie das in mehreren Metern Höhe geschehen konnte. Unser Gästeführer war um die Antwort nicht verlegen: „Die Soldaten müssen auf der Ladefläche gestanden haben, während sie auf die Wäscheausgabe warteten. Die Lastwagen sind direkt ans Haus gefahren, man sieht das auch an den Schleifspuren an der Fassade.“
Impfampulle im Müll
Die Sowjets hinterließen auch große Mengen Müll auf der Insel hinterlassen. Robert Leichsenring hat seinen Garten umgegraben und dort Impfampullen gefunden, was ihn sehr gefreut hat. „Für Archäologen sind Müllhalden ein wichtiger Quell der Erkenntnis“, begründete er. Auch wenn seine Funde – eine DDR-Milchtüte war auch dabei – nicht überaus spektakulär waren. Es sind noch genügend Müllberge da, um weitere Dinge herauszufinden.
Lebendiger Geschichtsunterricht
Wir erlebten zwei Stunden lebendigen Geschichtsunterricht, bei Robert Leichsenring. Der Gästeführer verriet uns, dass wir seine ersten Gäste auf dieser Tour waren. Obwohl er die Hermannswerder-Tour schon lange im Angebot hat, wurde sie noch nie gebucht. Das Interesse unter den Mitgliedern des Kulturstadt Potsdam e.V. war ungebrochen, so dass am 8. August ein 2. Inselrundgang stattfand und für 2024 ein weiterer geplant ist. Und wer die Geschichte auf eigene Faust erforschen will, findet bei Potsdam-Wiki einen guten Einstieg.
Zur Bildergalerie vom 20. Juni 2023:
Impressionen vom 2. Inselrundgang am 8. August 2023:
Alter Gutshof, der den Diakonissen zur Selbstversorgung diente.
Foto: Fides Mahrla
Hier stand das modernste Krankenhaus Anfang des 20. Jahrhunderts. Nachdem es im Zweiten Weltkrieg zerstört und danach wieder aufgebaut wurde, nutzen die Russen es bis 1992 als Infektionskrankenhaus. Heute befindet sich hier ein Altenheim.
Foto: Fides Mahrla
Das Gebäude der ehemalige Wäscherei. Die Soldaten reichten die Wäschekörbe immer durch eines der Fenster, wovon heute noch die Schleifspuren auf dem Backstein der Fensterbank zeugen. Um die Wartezeit zu verkürzen, ritzten die Soldaten ihre Heimatorte in die Steine.
Foto: Fides Mahrla
Auf der ehemalig landwirtschaftlich genutzten Fläche steht heute eine Wohnanlage für Betreutes Wohnen.
Foto: Fides Mahrla
Lebenszeit begleiten - unter diesem Motto steht die Arbeit des Evangelischen Hospizes Potsdam seit der Eröffnung im April 2012. Das Hospiz hat acht Plätze für schwer kranke und sterbende Menschen.
Foto: Fides Mahrla
Ehemaliges Vereinshaus der Frauen-Ruderer, heute ein privates Wohnhaus.
Der gebeugte Atlas auf dem Alten Rathaus gehört seit 1776 zu Potsdams Stadtbild. Doch die vergoldete Figur auf der Turmkuppel hätte fast ein Pendant bekommen. Entwürfe von 1913 sahen einen zweiten Turm mit einem zweiten Atlas auf dem Rathaus vor. Über dieses und weitere Luftschlösser berichtete der Stadtführer und Potsdam-Kenner Robert Leichsenring am Montag, dem 5. Juni 2023, in der Angerkirche beim Vereinstreff.
Eine andere Geschichte handelt von dem riesigen Schloss Belriguardo für Friedrich Wilhelm IV. auf Hermannswerder. Ab 1819 skizzierte er etwa 60 Entwürfe für sein Traumschloss, das in direkter Linie vom Schloss Sanssouci über die Havelbucht auf dem Tornow gebaut werden sollte. Die Blätter werden in der Plankammer von Sanssouci aufbewahrt. Auch von Schinkel (1823) und Persius (1828) gibt es Zeichnungen für ein Schloss nach antikem Vorbild. Am Ende fehlte das Geld für die Umsetzung.
Pläne über Pläne wurden für Potsdam über die Jahrhunderte gemacht. Viele blieben jedoch „Potsdamer Traumschlösser“, so auch die Höhenstraße vom Belvedere auf dem Klausberg bis zum Mühlenberg, wo ein gigantisches Denkmal für Friedrich dem Großen, 100 Jahre nach seinem Tod, entstehen sollte.
Robert Leichsenring überraschte und begeisterte die Zuhörer mit diesen unbekannten Zeichnungen und Plänen gleichermaßen. Es war ein spannender Abend.
Vortrag „Potsdamer Traumschlösser"
Foto: Fides Mahrla
Robert Leichsenring, Stadtführer und stellv. Vorsitzender der Historischen Straßenbahn Potsdam e.V. beim Vortrag.
Foto: Fides Mahrla
Foto: Altes Rathaus, Entwurf Architekturbüro Bruno Möhring, Zentralblatt der Bauverwaltung Nr. 97, 1913 Foto aus dem Sammlungsbestand Robert Leichsenring
Am Sonntag, dem 4. Juni 2023, stellten sich beim Fest der Kulturerben rund 50 Vereine und Initiativen vor, die ein Bau-, Garten- oder technisches Denkmal bewahren, schützen und nutzen. Das Kulturerbenfest 2023 war Teil einer großen Sommerveranstaltung der Stadt Potsdam mit dem Motto: „Wir feiern unsere Stadt“. Zu den Aktivitäten rund um den UNESCO-Welterbetag gehörten u.a. eine UNESCO-Radtour am Vormittag, ein Orgelkonzert, das Filmfestival im Kutschstall und der Jahresempfang des Oberbürgermeisters. Der UNESCO–Welterbetag stand unter dem Motto „Unsere Welt. Unser Erbe. Unsere Verantwortung.“ Der Klimawandel ist eine der Bedrohungen für das Welterbe. Darum widmeten wir beim Fest der Kulturerben den Potsdamer Park- und Grünanlagen besondere Aufmerksamkeit.
Der Nachwuchs war das zentrale Thema unseres Kulturerbenfestes. Wir warben an diesem Tag um personellen Nachwuchs für unsere Vereine, aber auch für „grünen“ (pflanzlichen) Nachwuchs in unseren Parks. Das Fest bot allen Vereinen und Besuchern ein inspirierendes und vielfältiges Programm mit diversen Aktionen an den Ständen und auf der Bühne. Besucher konnten Seemannsknoten lernen, kleine Körbe flechten, eine Kirche basteln und historische Handwerkstechniken (Schnitzen, Vergolden) selbst ausprobieren. Aktuelle Projekte aus den Vereinen stellte Sabine Ambrosius vor, der Oberbürgermeister sprach den Ehrenamtlichen seinen Dank aus, Musik- und Showakts sorgen für gute Stimmung.
An unserem Stand füllten Mitglieder eine Mischung aus 40 verschiedenen Blumensamen von der Freundschaftsinsel in kleine Tüten und verschenkten 500 Stück an Interessierte. Begehrt waren auch wieder der handliche Ausflugsführer „Potsdamer Spaziergänge“ und die blauen Potsdam-Tragetaschen samt kleiner Überraschung. Wir konnten viele nette Gespräche führen und neue Kontakte knüpfen. Es hat viel Spaß gemacht, denn wir alle sind Kulturerben!
Unsere Standbetreuung beim diesjährigen Kulturerbenfest: (v.l.) Franziska Fürstenau, Irmgard Hratzki, Hsiu-Mei Cabos, Karin Hennig und Bolko Bouché.
Foto: Fides Mahrla
Franziska Fürstenau, Katherin Bauersfeld und Bolko Bouché tüten die „Potsdamer Mischung" ein. Das sind 40 verschiedene Blumensamen von der Freundschaftsinsel.
Foto: Fides Mahrla
Foto: Fides Mahrla
Robert Leichsenring (l.), stellv. Vorsitzender der Historische Straßenbahnen e.V., Franziska Fürstenau (Projektmanagerin Kulturerbenfest) und Mitglied Katherin Bauersfeld.
Foto: Fides Mahrla
Dr. Uwe Koch, Vorsitzender von Europa Nostra, im Gespräch mit Kulturerben-Projektleiter Hans-Jürgen Krackher (l.)
Foto: Fides Mahrla
Vereinsvorsitzende Fides Mahrla und ihr Stellvertreter Matthias Finken.
„Viva il caro sassone!” – so feierte das begeisterte Publikum den „lieben Sachsen” Georg Friedrich Händel bei der Premiere der Oper „Agrippina” in Venedig im Jahre 1709. Die Zeit in Italien prägte den jungen Händel sehr: Er schrieb in dieser Zeit zwei Opern sowie zahlreiche Oratorien und Kantaten und lernte große Komponisten wie Corelli oder die Scarlatti-Brüder kennen.
Am 21. Mai 2023 brachte die Kammerakademie Potsdam unter Leitung des tschechischen Dirigenten und Cembalisten Václav Luks u.a. die Overtüre zu „Agrippina“ in der Friedenskirche zur Aufführung. Im Vorgespräch mit unseren Mitgliedern erklärte Luks die Idee zu diesem Programm im Rahmen der Sanssouci-Konzerte: „Für mich ist Händels Musik aus dieser Zeit sehr faszinierend, weil sie sich so von seinem Spätwerk unterscheidet, weil sie vollgeladen von italienischer Inspiration ist und weil Händel dort gelernt hat, mit der menschlichen Stimme umzugehen, wovon er sein ganzes Leben profitierte.” Der junge Händel ging nach seinem vierjährigen erfolgreichen Italienaufenthalt nach London und etablierte dort zuerst die italienische Oper, dann das englischsprachige Oratorium.
Václav Luks zählt als Gründer und Leiter des Prager Barockorchesters Collegium 1704 und des Vokalensembles Collegium Vocale 1704 zu den führenden Dirigenten und Interpreten im Bereich der historischen Aufführungspraxis. Unter seiner Leitung gastieren beide Ensembles auf berühmten Festivals und in bedeutenden Konzertsälen weltweit.
„Sein Interesse für die historische Aufführungspraxis ist ein wichtiger Treibstoff für die KAP“, sagt Chefdirigent Antonello Manacorda. „Schon seit der Gründung ist das Orchester offen dafür, mit Dirigenten wie Václav neue Interpretationsmöglichkeiten und Werke zu entdecken. Die Zusammenarbeit mit ihm in der Vergangenheit war sehr bereichernd und inspirierend.”
In den kommenden drei Spielzeiten kuratiert Václav Luks als künstlerischer Partner die Sanssouci-Konzerte, in der Saison 22/23 ist er zudem Artist in Residence bei der KAP.
Die Herzen des Publikums gewann die aus Rom stammende Sopranistin Roberta Mameli mit den Kantaten „Armida abbandonata“ und „Tu fedel? Tu constante?“von Händel. Sie gilt Dank ihrer großen Vielseitigkeit und ihres kristallklaren Tons als eine der besten Interpretinnen des barocken Repertoires. Roberta Mameli singt weltweit in großen Konzertsälen und Opernhäusern. Nun erlebten wir die charmante Sängerin, die kurzfristig für die verhinderte Siobhan Stagg eingesprungen ist, in der Friedenskirche von Sanssouci.
Einführung zum Konzert und Vorstellung von Václav Luks (3.v.l.) mit Adriana Kussmaul (2.v.l.) und Alexander Hollensteiner (1.v.l.) von der Kammerakademie Potsdam
Der Wildpark ist Teil der Berlin-Brandenburger Kulturlandschaft, die sich im Nordosten von der Pfaueninsel über Sacrow, Glienicke, Neuer Garten, Sanssouci, Neues Palais bis Paretz im Nordwesten und Caputh, Petzow und Ferch im Südwesten erstreckt. Im Kerngebiet der Potsdamer Kulturlandschaft stellt der Wildpark mit 875 ha, die zentrale Fläche dar, das ist nahezu ein Drittel der „Insel“ Potsdam. „Das Waldgebiet ist um ein Mehrfaches größer als der Park Sanssouci, der eine Fläche von etwa 290 ha hat“, erklärte der Vorsitzende des Wildparkvereins, Dr. Carsten Leßner, beim monatlichen Vereinstreff am 8. Mai 2023 in der Angerkirche. Er leitet die oberste Forst- und oberste Jagdbehörde des Landes Brandenburg im Landwirtschaftsministerium und geht im Wildpark regelmäßig zur Jagd.
Kurfürsten und Könige nutzten seit dem 17. Jahrhundert den Wildpark als Jagdrevier, der 1833 in den von Peter Joseph Lenné erstellten „Verschönerungsplan der Umgebung von Potsdam” einbezogen wurde. 1842 ließ Friedrich Wilhelm IV. den Wildpark komplett einzäumen und Lenné vollendete mit dem Architekten Ludwig Persius die Parkgestaltung. Es wurden vier Forsthäuser im romantisch-mittelalterlichen Stil gebaut, Gehölze angepflanzt und Wild angesiedelt. Die Ecken der Gebäude wurden mit Tierköpfen verziert.
Am Sanssouci-Tor stehen zwei Bronze-Hirsche, die Christian Daniel Rauch im Auftrag von Friedrich Wilhelm IV. schuf. Von 1845 bis 1945 zierten die metallenen Hirsche den Eingang am Forsthaus Kuhfort. Nach dem Krieg beschlagnahmte die Rote Armee die Skulpturen und stellte sie vor dem Theater auf dem Militärgelände in Wünsdorf auf. Saskia Hüneke, Skulpturen-Kustodin der Schlösserstiftung, gelang es 1994 die wertvollen Plastiken von den abrückenden Truppen zu erwerben und im Stiftungsdepot einzulagern. Mithilfe zahlreicher Spender und des Engagements des Wildpark e.V. konnten die Hirsche nach erfolgter Restaurierung 2006 wiederaufgestellt werden.
Der Wildpark e.V. war 2004 von engagierten Bürgern der Wildpark-West gegründet worden, um die „Havelspange“ zu verhindern, die direkt durch das Waldgebiet geführt hätte und neben der bestehenden Bahnstrecke eine weitere Querung zur Folge gehabt hätte. Aktuell hat der Verein etwa 140 Mitglieder. Mit Aktionen wie das gemeinsame Müllsammeln mit den Potsdamer Plastik-Piraten, einem Konzert am Pfingstmontag und dem jährlichen Weihnachtsmarkt am 1. Advent möchte der Verein auf sein Anliegen aufmerksam machen und die Öffentlichkeit zur Teilnahme einladen.
Das 19. Pfingstkonzert findet am Pfingstmontag, dem 29. Mai 2023 am Wegstern im Wildpark statt. Beginn ist um 11 Uhr mit der A-capella-Gruppe „mündlich:6″ aus Berlin-Friedrichshain. Der Eintritt ist frei. Bei Kaffee, Kuchen und Getränken freuen sich die Mitglieder auf viele Gäste, um gemeinsam einen musikalischen Leckerbissen unter freiem Himmel zu genießen. Die Gruppe „mündlich:6″ bietet ein 90er-Jahre-Programm mit Hits von Michael Jackson, Britney Spears, den Backstreet Boys und vielen mehr.
Dr. Carsten Leßner beim Vortrag über den „Vergessenen Park Potsdams" in der Angerkirche