Stadtgeschichte zwischen Trümmern und sozialistischem Wiederaufbau

Der Mai-Stammtisch unseres Vereins bot einen besonderen Höhepunkt: Stadtführer Robert Leichsenring nahm uns mit auf eine eindrucksvolle Zeitreise durch die Stadtentwicklung Potsdams zwischen 1945 und 1989. Mit historischen Bildern und spannenden Hintergrundinformationen ließ er die dramatischen Veränderungen dieser Jahrzehnte lebendig werden.

Im Fokus seines Vortrags stand zunächst die Zerstörung Potsdams zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Nach schweren Bombardierungen und Straßenkämpfen im Jahr 1945 lagen zahlreiche historische Bauten in Trümmern: das Stadtschloss, die Nikolaikirche, das Rathaus, der Palast Barberini und viele Bürgerhäuser wurden schwer beschädigt oder zerstört. Die Überreste – Fassadenfragmente wie steinerne Skelette – prägten das Stadtbild der Nachkriegszeit.

In den ersten Jahren nach Kriegsende bestimmten Enttrümmerung und Wiederaufbau das Bild. Dabei nutzte man das aus den Ruinen gewonnene Steinmaterial als Baustoff, versuchte historische Elemente zu retten und kunstvollen Fassadenschmuck aus den Trümmern zu bergen.

Barock und Sozialismus: DDR-Architektur neu betrachtet

Leichsenring machte deutlich, dass die Architektur der DDR nicht ausschließlich durch Plattenbauten geprägt war. Bereits in den 1950er Jahren begann man, einzelne Gebäude im Stil der historischen Wohnhäuser zu rekonstruieren. Ein Beispiel dafür ist die Wilhelm-Staab-Straße – die erste Barockstraße der DDR. Ein weiteres interessantes Detail zeigte sich in der Yorckstraße 13: Über der Haustür prangt statt eines klassischen Putto ein Mädchen mit Pionierhalstuch – ein symbolischer Ausdruck der neuen Zeit.

Ein besonders anschauliches Beispiel für den Umgang mit historischen Überresten stellte das sogenannte „Ochsenkopfhaus“ dar. Das Direktionsgebäude der Gewehrmanufaktur von 1755/56 stand einst in der Dortustraße Ecke Breite Straße. Obwohl das Haus zerstört wurde, blieb einer der markanten Sandstein-Widderköpfe erhalten und ziert bis heute die Fassade des später errichteten Mietshauses.

Weitere Beispiele aus der Charlottenstraße, Dortustraße, Friedrich-Ebert-Straße und dem Platz der Einheit zeigten den Zuhörern, wie sehr die Stadtentwicklung dieser Zeit von Brüchen, aber auch von kreativen Lösungen geprägt war. Nach der Ära des sozialistischen Klassizismus wich die barocke Bautradition mehr und mehr dem industriellen Wohnungsbau. Anfangs plante man großzügige Grünflächen und offene Bebauung – etwa im Burgstraßenviertel –, doch später wurden Neubauviertel deutlich verdichtet. Das Wohnungsbauprogramm von 1973 zielte auf eine umfassende Lösung der Wohnungsnot bis 1990.

Verhinderte Planungen – gerettete Bauten

Leichsenring präsentierte zudem Stadtplanungen, die glücklicherweise nie umgesetzt wurden – unter anderem für das Holländische Viertel, die Hegelallee oder den Bassinplatz. Glück hatte auch der Marstall: Ursprünglich für den Abriss vorgesehen, konnte er durch die Initiative zur Einrichtung eines Filmmuseums gerettet werden. So wurde der Bau zwischen 1977 und 1980 behutsam rekonstruiert – ein Beispiel für die erfolgreiche Bewahrung historischer Substanz in der DDR-Zeit. Das Stadtschloss dagegen, das einst durch die Ringerkolonnade mit dem Marstall verbunden war, fiel bereits 1960 dem Abrissbagger zum Opfer.

Der Vortrag von Robert Leichsenring war ein faszinierender Streifzug durch ein spannendes Kapitel Potsdamer Stadtgeschichte – voller Verluste, aber auch überraschender Erhaltungen und Wiederentdeckungen. Er öffnete den Blick für die oft übersehenen Spuren der Nachkriegs- und DDR-Zeit, die unser Stadtbild bis heute prägen.