Führung Hermannswerder

Mit Robert Leichsenring hatte der Kulturstadt Potsdam e.V. nicht nur einen professionellen Gästeführer für die Besichtigung der Halbinsel Hermannswerder am 20. Juni 2023 gewonnen, sondern auch einen echten Inselbewohner, der mit Sachkunde und Humor die Spuren der Geschichte deutete.

Leidenschaft fürs Detail

Mit Leidenschaft fürs Detail berichtete Robert Leichsenring über die Nebengebäude, über die nirgends etwas geschrieben steht. Zum Beispiel über den alten Gutshof, der schon bei den Diakonissen zur Selbstversorgung diente, Viehhaltung gehörte selbstverständlich dazu. Und auch die sowjetische Seuchenklinik, die nach dem Krieg bis in die 1990-er Jahre hinein einen großen Teil der Insel für sich beanspruchte, hielt eigenes Vieh, zum Beispiel Schweine. Insel-Bewohner erinnerten sich, dass sie im Tausch gegen zwei Magazin-Hefte – mit der Abbildung nackter Frauen – von Soldaten zwei Kaninchen erhalten hatten.

Schleifspuren auf der Fensterbank

Auch zur zivilen Wäscherei, die von Diakonissen-Schwestern betrieben wurde, wusste Robert Leichsenring Anekdoten zu berichten. So brachten sowjetische Militärangehörige täglich große Mengen Krankenhauswäsche zu den Schwestern. Die Wäschekörbe reichten sie immer durch eines der Fenster, wovon heute noch die Schleifspuren auf dem Backstein der Fensterbank zeugen. Dass die Soldaten die Wartezeit nutzten, um Heimatorte und Jahreszahlen in den Backstein zu ritzen, ist sicher nicht weiter erstaunlich. Jedoch wunderten sich einige Vereinsmitglieder, wie das in mehreren Metern Höhe geschehen konnte. Unser Gästeführer war um die Antwort nicht verlegen: „Die Soldaten müssen auf der Ladefläche gestanden haben, während sie auf die Wäscheausgabe warteten. Die Lastwagen sind direkt ans Haus gefahren, man sieht das auch an den Schleifspuren an der Fassade.“

Impfampulle im Müll

Die Sowjets hinterließen auch große Mengen Müll auf der Insel hinterlassen. Robert Leichsenring hat seinen Garten umgegraben und dort Impfampullen gefunden, was ihn sehr gefreut hat. „Für Archäologen sind Müllhalden ein wichtiger Quell der Erkenntnis“, begründete er. Auch wenn seine Funde – eine DDR-Milchtüte war auch dabei – nicht überaus spektakulär waren. Es sind noch genügend Müllberge da, um weitere Dinge herauszufinden.

Lebendiger Geschichtsunterricht

Wir erlebten zwei Stunden lebendigen Geschichtsunterricht, bei Robert Leichsenring. Der Gästeführer verriet uns, dass wir seine ersten Gäste auf dieser Tour waren. Obwohl er die Hermannswerder-Tour schon lange im Angebot hat, wurde sie noch nie gebucht. Das Interesse unter den Mitgliedern des Kulturstadt Potsdam e.V. war ungebrochen, so dass am 8. August ein 2. Inselrundgang stattfand und für 2024 ein weiterer geplant ist. Und wer die Geschichte auf eigene Faust erforschen will, findet bei Potsdam-Wiki einen guten Einstieg.

Zur Bildergalerie vom 20. Juni 2023:

Impressionen vom 2. Inselrundgang am 8. August 2023: